© Dinah Herbst/Dietmar Hesse

Bild von Stefan Keller auf Pixabay
Drubenheart war alt, selbst für die
Mitglieder seine Gattung war er ein alter Knochen. Zugegeben gab es nur
noch wenige. Achthundertzweiunddreißig Jahre nach der Menschen Rechnung
hatte er bereits gesehen, viele davon waren für beide prächtig, zusammen hatten
Menschen und Drachen viel erreicht, geschafft und zufrieden nebeneinander
gelebt. Man hatte sich unterstützt, so gut es ging, in Gefahrensituationen
geholfen und trotz der beachtlichen Unterschiede der Körpergröße war das
Zusammenleben der zwei völlig unterschiedlichen Arten ein sehr harmonisches
gewesen. Die Alten halfen den Alten, die Jungen spielten miteinander. Wobei
jeder bedenken musste, jung bei der Gattung Mensch ging bei ihrer Zählweise bis
zum zehnten Lebensjahr, bei den Draflüglern, von den Menschen Drachen oder
Lindwürmer genannt, waren das durchaus zehn Mal so viele Tage. Das hieß, sie
hatten viele Spielkameraden, aber auch viele Freunde, wenn ehemalige Gefährten
in der Jugend der Menschen zu Erwachsenen heranwuchsen. Durch diese eigenartige
Begebenheit, durch Mutter Natur geschaffen, war eine Freundschaft beider Rassen
auf lange Zeit einfach da, ohne dass sie hinterfragt wurde.
Ihre Kämpfe waren bis zu den Tagen immer nur nette Geplänkel zwischen den
beiden so unterschiedlichen Geschlechtern. Immer hatten die Draflügler ihre
Nüstern vorn, aber es sollte ja auch nur ein großer Spaß sein, nie war ein
ernster Kampf geplant. Warum auch, beide Völker waren ja gute Freunde.
Dann, vor 600 Jahren, ist etwas Eigenartiges geschehen. Drubenheart war noch
ein Jungspund, als plötzlich immer weniger Drachenkinder geboren wurden. Die
Menschen waren genauso ratlos wie die Draflügler. Die Lindwürmer wurden immer
trauriger. Alte starben und die jungen wurden älter, das war der Lauf der Welt,
aber ohne Kinder wurden sie immer weniger. Die jungen Menschen hatten keine
Drachenkinder mehr zum Spielen und die alte Vertrautheit zwischen den zwei
Arten verschwand nach und nach. An ihre Stelle trat Misstrauen gegenüber den
riesigen Geschöpfen, die immer wieder die Pfade der Menschen kreuzten.
Die Drachen zogen sich immer mehr aus der Gesellschaft der Menschen zurück.
Eine Zeit lang wurden sie noch von den älteren und Alten in Ihren Höhlen
besucht. In sie hatten die meisten Lindwürmer sich vor Trauen und Schmerz
zurückgezogen. Es wurden Geschichten aus den glorreichen Tagen der engen
Freundschaft der zwei Völker erzählt und man schwelgte in Erinnerungen.
In den Dörfern und Burgen der Menschen ging die Erinnerung an das friedliche
Zusammenleben zwischen Lindwürmern und Menschen immer mehr verloren. Die
großen geflügelten Gestalten wurden mit vielen Mythen belegt, das Feuerspeien
zum Beispiel hatte es nie gegeben.
Die alten Geschichten wurden ausgeschmückt mit fantasievollen Darstellungen von
Kämpfen, welche nicht stattgefunden hatten und solche Erzählungen schürten die
Angst vor dem inzwischen Unbekannten. Die Alten, die sich noch erinnerten,
wurden belächelt, wenn sie von Festen und Spielen mit den Lindwürmern
schwärmten.
Die jungen, aufstrebenden, Recken hatten ein neues Spiel, tötet den Drachen.
Dabei machten sie sich Mut und Anerkennung fand
der Gewinner. Siegfried, von den Menschen in Geschichten als „Drachentöter“
gerühmt, war so ein Genosse, der auszog, um Ruhm zu erwerben, weil er von allen
Freunden ausgelacht wurde. Irgendwann hatte er einmal den Gedanken gefunden, er
würde Anerkennung erlangen, wenn es ihm gelänge, einen von den im Kampf
unbesiegbaren doch zu besiegen. So machte er sich auf die Suche nach dem
Versteck eines Lindwurms.
Er hätte Fafnir nie im Kampf besiegen können. Eine Katastrophe kam ihm gegen
den jungen Draflügler zur Hilfe. Gerade als er lauthals brüllend mit erhobenem
Schwert versuchte, die Höhle des vermeintlichen Opfers zu erstürmen, begann die
Erde zu beben. Fafnir, der sich auf einer Ebene oberhalb des Eingangs befand,
wurde ebenso vom Erzittern des Bodens überrascht, wie der voran stürmende
Siegfried. Siegfried unten, die Arme zum Schutz gegen den einsetzenden
Geröllregen erhoben, das Schwert gen Himmel gestreckt, Fafnir über ihm,
plötzlich von einem herabfallenden Gesteinsbrocken in der Flanke getroffen und
den schmalen Grat hinunter gedrückt. Er fiel genau in das aufgerichtete Schwert
und begrub Siegfried
unter sich. Sein Blut floss über den fast zu Tode gedrückten Körper des ungestümen Angreifers und die in ihm enthaltenen Inhaltsstoffe taten ihre Pflicht. Der im Sterben liegende Mensch wurde durch das Blut des Drachen erweckt, er bekam ungeahnte Kräfte übermittelt und nach einer Zeit der Regeneration kämpfte sich Siegfried unter dem toten Körper des Lindwurmes hervor. Hinterher erzählte er stolz, er hätte im Blut des Drachen gebadet. Auch der wunde Punkt im Rücken, in der Sage ein Blatt, das sich beim Baden auf seinem Rücken befand, war nichts anderes, als der Abdruck von Teilen seiner Waffe, die durch den Druck, den der Körper über ihm ausgeübt hatte, einfach verhinderte, dass Drachenblut diese Hautpartien benetzten konnte.
Nun saß er hier oben auf dem hohen
Berg und beobachtete das Geschehen unter Ihm. Es hatte sich viel verändert in
den letzten Hunderten von Jahren auf der guten alten Erde. Die Menschen
benutzten heute Dinge zum Transport, die er nur aus der Entfernung kannte.
Fliegen konnte er nur noch in dunklen Nächten immer auf der Hut nicht gesehen zu
werden. Wenn er ehrlich zu sich selber war, strengten ihn diese Ausflüge leider
auch sehr an, und er war immer wieder froh, es sich in seinem Unterschlupf
gemütlich machen. Hier legte er sich nieder und ließ seine Gedanken fliegen in
die alte Zeit voller Glück, Zufriedenheit und Frieden.
Es gab nur noch wenige der Alten, die durch Überlieferungen und Erzählungen von
der einstigen Freundschaft der beiden Geschlechter wussten. So sprach er nur
noch selten mit einem vom Menschengeschlecht.
Doch gestern, oder war es vorgestern, er schlief in letzter Zeit lange, war
David vom hohen Acker zu ihm hinaufgeklettert. Der alte Mann hatte sich den
beschwerlichen Weg angetan um ihn, den alten Draflügler um Rat zu bitten. Sie
hatten lange zusammen gesessen und gesprochen. David erzählte ihm eine
Geschichte, die eher in die Zeit der Ritter und Burgen passte. Drubenheart kam
sich dabei in alte, bessere, Zeiten versetzt vor.
Als der Alte mit seinem Rat im Gepäck gegangen war, legte sich Drubenheart in seine Höhle. Er war beglückt, noch das Vertrauen eines Menschen bekommen zu haben. Erschöpft schlief er mit einem Lächeln auf den Lippen für immer ein.