Auf großer Fahrt
Am nächsten Morgen wurde ich durch sein fröhliches Pfeifen geweckt. Das Lied kannte ich. Im Text kam immer wieder das blöde Wort happy vor. So nannten die Pfleger im Labor das ewig vor sich hin grinsende Kaninchen im Raum nebenan. Das bedeutet glücklich, hatte er mir mal erklärt. Mit Glück hatte das Grinsen nichts zu tun. Ein fehlgeschlagener Versuch hatte dem armen Kerl diese Fratze verpasst.
»Sansibär, gleich geht es los! Bist du bereit für den Trip in den Norden? Die Fahrt darfst du auf meiner Schulter sitzen, dann siehst du alles.«
»Ja, Boss. Kann losgehen!«
Im Auto befasste er sich zuerst mit dem komischen Ding, das ihm den Weg vorsagte. Er holte das schwarze Buch aus der Tasche, das Fahrtenbuch der besonderen Art.
»So, 9:30 Abfahrt nach Rendsburg. Eingetragen!«
»Was trägst du da ein?«
»Uhrzeit, Namen, Orte. Die Fakten, die später für den Bericht wichtig sind.«
Der Stift verschwand im Federmäppchen, und ich kroch auf seine Schulter. Es war spannend, wie die Landschaft so an mir vorbeiflog. Ich schaute mir alles genau an, oft bekam ich die weite Welt ja nicht zu sehen.
»Was sind das für hohe Stangen mit den Flügeln am Kopf? Die drehen sich aber schnell.«
»Das sind moderne Windmühlen. Vor langer Zeit haben die Menschen die Kraft des Windes genutzt, um Korn zu mahlen. Heute erzeugen wir damit Strom.«
»Aha, der Sturm sorgt für Energie! Was ist das für ein schwarzes Loch, das die vor uns alle verschluckt?«
»Das ist der Elbtunnel, in dem können wir unter einem breiten Fluss durchfahren.«
»Und da tropft nichts von oben, wir bleiben trocken?«
»Klar doch!« Er grinste.
Ich schloss die Augen, das war mir zu unheimlich.
»Du kannst dich entspannen, wir sind heraus aus der Röhre.«
Ich traute mich und blinzelte, nur um gleich darauf erschrocken hinter ihm Schutz zu suchen. »Was war das für ein Lichtblitz?«
»Scheiße, ich war zu schnell, das kostet, da bekomme ich ein Ticket. Komm raus, nur die Verkehrsüberwachung, die tut dir nichts. Wir kriegen halt ein teures Foto!«.
Kurz vor den Ziel hielt er an.
»Was ist jetzt?«
»Siehst du das Wasser und die Schiffe, das sind Fähren, die uns auf die andere Seite bringen.«
Ich schaute mich um. Auf der Wiese neben dem Auto saß ein Vogel mit einem langen Hals. Er ärgerte einen Frosch, immer wieder stieß er mit dem Schnabel nach unten, und der arme Kerl versuchte, durch Sprünge aus der Gefahrenzone zu kommen.
»Es geht weiter, gleich sind wir am Ziel.«
Es schaukelte ein wenig, als wir auf die Fähre fuhren, doch schnell waren wir drüben.
Zuerst sehen wir uns das Zimmer an. Dann gehen wir in die Stadt, uns umsehen.«
An der Rezeption kam uns schwanzwedelnd ein Jack Russel mit einer braunen Maske entgegen. Mein Gebieter kniete sich nieder und streichelte ihn. Der schnupperte interessier nach mir, und ich zog mich etwas zurück.
»Du bist aber ein lieber, ja, fein.«
Das Zimmer lag oben unter dem Dach.
»Hallo, ist das ein Ausblick aus dem Giebelfenster. Rollläden gibt es auch, falls die Sonne es mal zu freundlich meint.« Er stellte den Koffer ab und betrachtete die Umgebung.
»Nur der Container da hinten stört das Gesamtbild. Was da wohl gelagert wird? Egal, das werden zwei herrliche Tage hier.« Aus der Tasche holte er ein langes Tuch.
»Den Schal habe ich für dich mitgebracht, kleiner Freund. Den lege ich um, dann kannst du drin auf meiner Schulter sitzen bleiben. Das Abenteuer Stadt wartet!«
Geheimnissvolle enge Gassen mit einem großen Platz, umrahmt von alten Häusern erwartete uns. Die vielen Balken hatte ich vorher an Gebäuden noch nicht gesehen.
»Das nennen wir Fachwerk, so wurde vor hundert Jahren gebaut. Schau mal, da hinten fiedelt jemand.«
Ein fremd aussehender Mann spielte eine Melodie auf einem Holz, dass er sich unter dem Kinn festklemmte. Die Töne schwebten auf dem Platz. Sie verzauberten die Fußgänger, die immer wieder zu ihm gingen, um eine Münze in den Kasten vor ihm zu werfen.
»Was ist das für ein Instrument?«
»Das ist eine Geige, der Geigenkasten vor ihm ist heute seine Spardose. Jeder, dem das Liebeslied gefällt, wirft etwas hinein. Die Liebe, wie länge vermisse ich das Gefühl … Nun ja, dafür bin ich zu alt!«
Dieses Trauma kannte ich schon. Vor ein paar Wochen hatte ihn eine Kollegin erstaunt angeschaut, als er von seinem Geburtstag erzählte.
»Du bist ja älter, als mein Papa … » meinte sie zu ihm. Seit dem ist er bei dem Thema verstört.
»Komm, er hat sich ein Lächeln und ein Geldstück verdient. Morgen lernst du dann die Mädels kennen.«
»Sagtest du nicht, ich soll mich versteckt halten? So ein Gekreische wie im Schwimmbad finde ich blöd! Nein danke … «
Er zwinkerte mir verstohlen zu. »Du unterschätzt die Damen! Wer weiß, vielleicht bist du der geheime Star des Tages. Lass dich überraschen, kleiner Freund.«
Er kraulte mein Kinn und schlenderte gut gelaunt zum Hotel.